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  • buerge16

"Deine Rockstar-Tage sind vorbei!"



Es begann harmlos. Ein Freund von mir spielte auf dem Pausenplatz mit seinem Sohn Fussball. Das heisst, er versuchte es mit Vehemenz. Sein Bub stand im Tor und hätte der Vater getroffen, hätte er ihm wohl ein Loch in den Bauch geschossen. Aber er traf ja nicht. Darum spielte er den Ball zu mir und sagte: «Und?» Damit beginnen in diesen Tagen die meisten Konversationen. «Und?» heisst: Was geht in deiner Jobsuche? Fast alle fragen das im selben empathischen Tonfall, gefolgt von einem noch mitfühlenderen Ausatmen. Als hätte ich eine nur schwer kurierbare Krankheit. Oder plötzlich ein blaues Ohr. Und Streifen im Gesicht. Oder ein Hinkebein. Ich weiss jetzt jedenfalls wieder, wie sehr sich die Gesellschaft über den Job definiert. Weil es daneben nicht viel Anderes gibt, woran man sich halten könnte. Und – ganz ehrlich – auch ich stand manchmal am Morgen vor dem Spiegel und dachte: Gopfertelli, wer oder was bist du jetzt? Wofür stehst du? Darum die Wellen von Empathie, die über mich schwappen. Ist ja eigentlich nett. Wirklich. Ich registriere es einfach, wie es ist.


Aber zurück zu meinem Freund, der das Tor nicht traf. Dieser hat eigentlich viel los in seinem Leben. Coole Familie, einen Schrebergarten, kommt mit mir auf Punkkonzerte und nimmt mich mit zum Baseball. Nach meiner Antwort («ja, also das eine oder andere Projekt ist im Gang und…») sagte er doch tatsächlich wie aus der Pistole geschossen: «Mein Freund, deine Rockstar-Tage sind vorbei!» Das heisst, eigentlich waren seine Worte: «…deine Pornstar-Tage sind vorbei!» Aber weil ich nicht sicher bin, ob meine Mutter diesen Blog auch liest, wollte ich das nicht im Titel. Das hätte sie vielleicht verwirrt. Kurz vor Weihnachten. Nein, ich habe nie bei sowas mitgemacht, keine Angst! Was mein Freund meinte war: Du bist 25 Jahre um die Welt gejettet und hast Stars getroffen. Und jetzt? Game over. Mach Platz für die 20-Jährigen, such’ dir einen Job, in welchem du in Würde altern kannst. Irgendwas mit Supervisor. Sowas dachte er. Ich glaube, mir ging nicht unbedingt etwas ganz Böses («Arschloch!») durch den Kopf, aber etwas in der Art. Denn – hey – eigentlich ist Mitte Vierzig das Neue… keine Ahnung. Aber hier die harten Fakten: Ich hab beim Bankdrücken nie mehr Kilos draufgelegt als jetzt und könnte aus dem Stand einen Marathon laufen. So siehts aus, mein Freund! Mein biologisches Alter ist maximal 39. Und jugendlich im Geiste bin ich sowieso. Wird mir jeder Arzt bestätigen. Aber, jetzt ganz ernsthaft: Nie habe ich bessere Texte geschrieben als im Jahr 2020. Ich bin gerade in meine Prime eingebogen. Und werde die nächsten zehn Jahre Texte schreiben, die zum Heulen gut sind.


Jedenfalls ging ich heim und horchte noch mehr in mich hinein, um zu erfahren, wohin es mich wohl zieht. Und dann passierte etwas Seltsames. Das heisst, zuerst muss hier eine Rückblende hin: Ich lese ja seit einiger Zeit Bücher über die Seele, die Welt und das Universum. Da steht auch drin, dass unter uns möglicherweise noch andere Berater im Spiel sind als die von der Krankenkasse. Nur sieht und hört man die nicht. Sie sind Teil der Seele. Und in dem einen Buch hiess es, dass man die unsichtbaren Helfer fragen soll: «Show me where you know I need to be». Und weil ich schon lange Abwanderungsgelüste hegte, machte ich das. Ich sagte es laut vor mich hin. So um den 25. August. Zwei Tage später hatte ich die Kündigung in der Mailbox. Zufall. Klar. Die hatten das sicher schon im März beschlossen. Vielleicht waren die ja auch unbewusst beraten. Jedenfalls machte ich das zu Beginn des Winters noch einmal. «Show me where you know I need to be», sagte ich also wieder laut vor mich hin. Diesmal beim Joggen. Zwei Tage später klingelte mein Telefon. Ein Freund aus Jugendtagen war dran. «Ich habe da eine sehr gute Idee», sagte er. Es war nicht das Übliche wie «ja, für gute Schreiber tut sich in der Redaktion immer mal wieder was auf». Nein, es war ein ganz neuer Weg. Ich hörte ihm zu und mir war nach einer Minute klar, dass dies alles verändern könnte. Es läge ausserhalb meiner Komfortzone. Aber es wäre sehr lebendig. So fühlte ich mich auch bei dem Gedanken. Voller Adrenalin. Ich stand danach im Bad, schaute in den Spiegel und grinste. Vielleicht sind meine Rockstar-Tage doch noch nicht vorbei. Rockstar-Tage, nicht Pornstar!

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