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  • buerge16

Trüffel, Kokain, Schweine und Javier Blazquez



«Liebe Frau Schönenberger, ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen bedanken, dass es mir die Beine weggehauen hat. Ich bin wirklich beinahe seitlich weggeknickt, als ich zum ersten Mal in eine der «Vegan Truffes Champagner Collection»-Kugeln gebissen habe. So wie Prinzessinnen wegknicken, wenn sie von edlen Rittern gerettet werden. Mit einem Handrücken an der Stirn. Ich habe keinen Gourmet-Superlativ. Ich bin ja kein Gastro-Journalist. Also kann ich an dieser Stelle auch nichts Gescheites über Textur und Schmelz erzählen (ist das dasselbe?). Aber ich schwöre: Ihre Trüffel sind wie Drogen. Nicht dass ich jemals Drogen genommen hätte. Ausser gelegentlichem Kiffen an Open Airs und dem halben Schluck zuviel Alkohol beim Töffli-Ausflug ins Tessin war ich auch in meiner Jugend stets auf dem Pfad der Tugend. Was also macht mein Gehirn so rasend? Ist es nur der Zucker? Ja, ich weiss: Zucker wirkt wie Kokain. Die Zuckermoleküle binden sich an Dopaminrezeptoren. Der Belohnungsmechanismus nimmt seinen Lauf. Aber soviel Zucker kann es im dem Schoko-Trüffel doch gar nicht haben?


Wenn wir schon von Trüffeln reden, kommen mir auch Schweine in den Sinn. In Ihrem Kanton Luzern, Frau Schönenberger, gibt es 420 000 Schweine und 409 000 Menschen. Das ist eine von ganz vielen Wahrheiten über ihre Heimat. Alleine im Dorf Ruswil grunzen über 30 000 Schweine. Dort verbringen sie ihr Leben, also ihre sechs Monate, die ihnen gewährt werden, mit Sicht auf den Pilatus. Oder ähnlich. Eine begeisterte Journalistin einer regionalen Zeitung schrieb vor ein paar Jahren darüber: «Im Stall quiekt und grunzt es unentwegt, die Ferkel rennen, sodass ihre spitzen Ohren flattern.» Um dann ein paar Sätze weiter unten die Jöö-Attitüde gleich über Bord zu schmeissen und die lokale Gastronomie anzukurbeln. «Im Gasthof Rössli zum Beispiel gibt es «Gordon Blö vom Säuli us em Rottal» oder «Panierts Schwiinsschnetzu». Dass Sie in diesem blutrünstigen «Fressen-und-gefressen-werden»-Klima der Zentralschweiz auf vegane Trüffel setzen, Frau Schönenberger, finde ich, als Veganer, also ziemlich mutig, um nicht zu sagen visionär. Ich verleihe ihnen drei Kochhüte, Frau Schönenberger. Oder Herr Schönenberger? Auf der Verpackung steht ja nur Schönenberger Chocolat. Vielleicht macht ja eine Maschine diese Wahnsinnsdinger? Und Schönenberger ist nur eine schöne Erfindung von Marketingmenschen? Und es gibt gar keine Kochstube? Oder Backstube?


Womit wir bei unseren Vorstellungen wären. Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir – nennen wir ihn spasseshalber Javier Blazquez – hat mal erzählt, sein Bruder hätte in einer Schokoladenfabrik an einem See in der Schweiz jeweils Nachtschichten geschoben. Und da gäbe es gar keine Maître Chocolatier mit schönen Hüten. Sondern Mitarbeiter, die mit den Fingern ihre Körperöffnungen bis ins Detail sondieren. Herr Blazquez hat dann jeweils das Gesicht verzogen, geschworen, er esse mit diesem Wissen niemals mehr so eine Kugel und dann drückte er auf seinem Pult einen Desinfektionsspender, rieb sich die Hände und schüttelte sich. Das war Jahre vor Corona. Auch er war ein Visionär.


Leider heisst Ihre Firma ab 1. Januar jetzt ja Heidi Chocolat Suisse. Auch das muss ein weiser Marketingmensch durchgedrückt haben. Anyway, ich gratuliere zu den Vegan-Bio-Fairtrade-Truffes, zur ökologischen Verpackung und wie gesagt: Zum Mut! Ein kleiner Schritt für die Befreiung der Kühe und Kälber. Als nächstes könnten Sie dann ja die Schweine befreien. Vielleicht finden die ja im Boden noch viel wertvollere Trüffel.


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