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  • buerge16

Pepsi oder Coke - nicht Gut gegen Böse



Wir könnten Weihnachten mit Verwandten wegen Corona einfach ausfallen lassen. Dachten wir. Damit kämen wir zumindest um gewisse Diskussionen herum. Maskenpflicht, Klimawandel, Konzernverantwortungsinitiative, Veganismus. Weg, weg, weg. Aber gestern Abend hörte ich beim Abwaschen zwischen dem ersten und dem zweiten Bier ein paar gescheiten und gleichermassen witzigen älteren Männern zu. "It used to be more Coke versus Pepsi not Good versus Evil", sagte Mike Murphy. In "Hacks on tap", einem brillanten Podcast zur amerikanischen Politik, tauschte sich der frühere Wahlkampfberater von Republikanern wie John McCain und Mitt Romney mit David Axelrod aus, dem einstigen Wahlkampfmanager von Barack Obama. Im Gespräch ging es unter anderem auch darum, wie gross der Graben in der amerikanischen Gesellschaft ist, wie weit die Positionen in den vier Jahren unter Trump auseinander gedriftet sind. Nur noch Gut gegen Böse, Blau gegen Rot. "Ich glaube, der beste Weg ist es, auf die andere Seite zuzugehen", sagt Murphy. "Du gehst zu deinen Freunden auf der anderen Seite und sagst: 'Jetzt hört mal zu ihr sozialistischen Trottel!' Dieser Einstiegssatz ist schon mal ein Eisbrecher. Und dann beginnt ihr ein Gespräch." Er lachte laut. Es war tröstlich, ihm zuzuhören. Und natürlich fand es Murphy gleichermassen witzig wie abstrus, Demokraten als Sozialisten zu bezeichnen. Bernie Sanders mag für die Krankenkasse für alle sein - deswegen verstaatlicht er noch keine Konzerne. "Aber das ist nun mal ein Etikett, das sie den Demokraten um den Hals gelegt haben. Das ist reine Propaganda. Jetzt müssen sie schauen, wie sie es wieder loswerden", sagte Murphy. In den Tagen und Wochen vor, während und nach der US Wahl hörte ich viele Podcasts und sah noch mehr fern. 100 Stunden? 200 Stunden? Ich weiss es nicht mehr. Ich versuchte, zum selben Thema jeweils beide Seiten anzuhören. Nicht in der linken Filterblase zu bleiben. Also hörte ich mir die Weltsicht von Anderson Cooper und Jake Tapper auf CNN an, dann jene von Trump-Intimus Sean Hannity und Tucker Carlson auf Fox News. Ich war fasziniert und verblüfft, mit welcher Energie Hannity und Carlson ihren Hass und ihre Verschwörungstheorien verbreiteten, demokratische Politiker und Wähler abwechselnd als Sozialisten, elitäre Geheimbündler oder Antifa-Abschaum titulierten. Und die Medien als "linke Mainstream-Medien" als rechte und linke Hand des Teufels bezeichneten. Und ich fragte mich, ob sie auch wirklich glauben, was sie da erzählen oder ob es schlicht nur um Einfluss, Karriere und das Business generell geht und sie sich später beim Feierabendbier auf die Schenkel klopfen ob soviel Unverfrorenheit. CNN, den Demokraten zugetan, versuchte sich über Tage als Buchhalter, in getragenem Ton und Anständigkeit. Doch als der Sieger schliesslich feststand, stockte zuerst Jake Tapper in seiner Ansprache, dann heulte Moderator Van Jones hemmungslos vor Erleichterung. Ich fragte mich wie viele Menschen in diesen Tagen, wer wie grossen Anteil an diesem Desaster der Entfremdung hat. Wie die sozialen Medien - wie im Film "the social dilemma" gezeigt - zur Spaltung beitragen. Und ich erinnerte mich wieder, wie ein Experte im Film dazu riet, gegen die Algorithmen anzugehen, wenn immer möglich aus der eigenen Blase auszubrechen. Ich schrieb also einen Bekannten auf Facebook an, der in den USA wohnt, ein Dachdecker-Geschäft führt und sich seit Jahren auch mit Pro-Trump-Beiträgen bemerkbar machte, Fotos mit Maga-Hüten postete und Maga-Flaggen in seinem Pickup-Truck spazieren fuhr. Ich fragte ihn, ob er noch mit Demokraten verkehre. Er meinte, er hätte einige Demokraten unter seinen Freunden und keine Probleme mit ihnen. Als die Wahl vorüber war, liess er seine Facebook-Community wissen, er gehöre zu den Roten und hätte keine Feinde unter den Blauen. Aber wer sein Dach künftig von einem anderen decken lasse als von ihm, der hätte ein Problem. Ich fand, das war ein Anfang. Etwas mehr Coke oder Pepsi. Seine Art zu sagen: "Jetzt hört mal ihr sozialistischen Trottel!" Ich gehe jetzt öfter mal auf die andere Seite. Und schaue, wie sich das so anfühlt. Vielleicht findet Weihnachten ja doch statt. Auch mit den andern.

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